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48 Stunden "HelpForUkraine"

Wo du helfen kannst:

Am Mittwoch fällt die Entscheidung - wir fahren von Donnerstag auf Freitag nachts los in der "ersten Morgenstunde". Um 00:30h setzen wir uns mit zwei "Büssli's" in Bewegung vom Aargau in Richtung polnisch-ukrainische Grenze.

Sehr spontan hat sich der Trip ergeben, da aus Adi's Heimatort jemand privat Hilfsgüter gesammelt und Fahrer gesucht hat. Über Adi's Vater kamen wir dazu und aus dem Gefühl heraus, dass wir etwas tun müssen, helfen wir mit. Neben dem Organisator und Adi's Vater ist auch noch ein langstrecken LKW-Fahrer mit im Team dabei.

Und so geht es also zu fünft mit zwei Vans in der Nacht auf Freitag los - eine Fahrt ins Ungewisse. Als Ziel der Grenzübergang Korczowa - Krakowez.

Das Auto ist voller Windeln, Hygienebedarf und warmen Kleidern. Die Stimmung im Auto ist still, jeder hängt seinen Gedanken nach.

Auf der Autobahn fallen je weiter östlich wir kommen immer mehr Transporter auf - in allen Grössen, vollgestopft bis unters Dach wie unsere beiden Vans. Schilder weisen auf die Hilfsgüter hin, die Autonummern zeigen alle möglichen Herkunftsländer auf: Die Solidarität und Hilfsbereitschaft ist unglaublich gross. Gegenüber sieht das Bild anders aus: Auf der Gegenfahrbahn kommen unzählige ukrainische Autos entgegen - ebenfalls voll beladen - aber dies nicht freiwillig.

Auf unserer letzten Rast vor der Grenze besprechen wir die Lage, da die Info gekommen ist, dass der Grenzübergang bereits viele Hilfsgüter erhalten hat und man lieber die Auffang-Points unterstützen solle. So entscheiden wir die Stadt kurz vor der Grenze anzufahren.

Auf der Raststätte werden wir von Polen angesprochen. Sie erzählen uns, dass sie Bekannte aus der Ukraine vom Grenzübergang abholen wollen. Wir erklären ihnen, dass wir zwar keine Bekannte haben, aber helfen wollen. Sie wünschen uns viel Glück, was bei mir ein seltsames Gefühl auslöst. Eine surreale Situation knappe 20 Autostunden von der Schweiz entfernt Glück zu brauchen, um die Leute, die man sucht, auch wirklich finden zu können.

Unser jetziges Ziel also: der Bahnhof in Przemyśl. Endlich angekommen um ca. 20:00h am Freitagabend finden wir hier keine Flüchtlinge und keine Warenannahme-Points. Wir versuchen Kontakt aufzunehmen, was uns schliesslich eine Adresse etwas ausserhalb am Stadtrand einbringt. Da gab es wohl ein Missverständnis zuvor.

Jetzt landen wir bei einem Gartencenter - aber nach Nachfrage bei Leuten dort, wird uns das Tor sofort geöffnet und wir fahren in eine Lagerhalle, wo sich die Hilfsgüter stapeln. Hier werden sie am Samstag weiter verladen auf LKWs direkt in die Ukraine.

Wir laden die Autos mit Hilfe schnell komplett aus. Junge Männer organisieren hier alles - sie sprechen ukrainisch, nur einer von ihnen wenige Worte Englisch. Es reicht für die wesentliche Verständigung. Die Dankbarkeit ist gross, dafür müssen nicht viele Worte gesprochen werden.

Die Autos sind nun leer und für uns heisst das, dass unser Weg weiter zu den Flüchtlings-Auffang-Points geht, denn wir wollen die nun leeren Sitzplätze als Mitfahrgelegenheit anbieten.

Es geht weiter zum ehemaligen Einkaufscenter Tesco, welches als Auffanglager dient.

Hier werden wir nun nach der langen Fahrt mit aller Heftigkeit mit der Situation der Flüchtlinge konfrontiert. Schon ausserhalb des Gebäudes stehen viele Menschen mit wenigen Koffern mit dem Nötigsten und im Gebäude herrscht das absolute Chaos. Die Menschen sind hier zwar relativ gut "umsorgt" - es ist warm, es gibt Essen, Medikamente, Hygieneartikel, Handylademöglichkeiten...

Und doch ist hier nichts fassbar. Das System, die Flüchtlinge nach den Zielländern zu ordnen, hoffnungslos gescheitert. Die Helfer, am Rande ihrer Kapazität, versuchen hier irgendwie Flüchtlinge auf die Fahrer zu verteilen und Connections herzustellen. Die Sprachschwierigkeiten sind teilweise riesig, aber dank den Smartphones und den Helfern schafft man es mit Geduld herauszufinden, wo der Zielort der Person ist, mit der man gerade spricht.

Und so wandern wir von Helfer zu Helfer, mal mit mehr oder weniger grossen Verständnisproblemen. Bald wird uns klar, die Schweiz ist nicht gefragt als Zielland. Die Ukrainer wollen möglichst grenznah im Osten bleiben - um möglichst schnell in die Heimat zurückzukehren, wenn der Krieg vorbei ist.

Trotzdem wollen wir nicht sofort mit leeren Autos zurückkehren und entscheiden die Nacht hier zu verbringen und am Morgen nochmals zu fragen, ob wer mitfahren möchte. Die Nacht im Auto ist frostig - aber viel mehr zu schaffen macht uns das Schicksal der Menschen hier. Wir sind in der traumhaft guten Situation in einem eisigen Auto zu liegen - ein Auto, dass uns zurück nach Hause bringt, sobald wir losfahren.

Die Ukrainer*innen hier stehen mit einem Koffer als ganzes Hab und Gut, teilweise mit Hund oder auch Katze in Transportbox vor einer aufgehängten Europakarte und müssen entschieden wohin. Ist es eine Entscheidung auf Zeit? Für wie lange? Für immer? Niemand weiss es. Die Leute wirken emotional wie ausgeschaltet - man sieht eine grosse Leere und Hilflosigkeit in den Gesichtern - ein Zustand in der Schwebe, im Nichts.

Durch die Leute, mit denen wir "gesprochen" (dank "Hand und Fuss" und Google Translate) haben, realisieren wir, wie schwer die Entscheidungen fallen. Viele sind ziellos und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen.

Trotz des Wissens um die Situation in Grenznähe, trifft uns das Schicksal der Menschen mit einer grossen Wucht. Auch uns bleibt nicht viel mehr, als unsere Emotionen teilweise auszuschalten, sonst würde man hier verzweifeln, wenn man überlegt, wie die wenige eigene Hilfe in der riesigen Masse untergeht - ein Tröpfli auf dem heissen Stein.

Am Samstagmorgen versuchen wir uns nochmals als Fahrer zu melden. Nun geht alles etwas organisierter zu und her, wir erwischen auch eine Helferin die fliessend übersetzen kann und die Verständnissituation extrem steigert und vereinfacht. So kommt eine Mutter mit zwei Töchtern inkl. einem Grosskind zu uns mit Hund, die nach Dresden möchten. Auch heute ist die Schweiz als Zielland nicht sehr gefragt, aber nach Deutschland können wir ja auch weiterhelfen. Eine weitere Mutter mit ihrer Tochter schliesst sich uns an und so sind 8 unserer 9 Plätze gefüllt inkl. einem Vierbeiner.

Und so geht die Heimfahrt los - Ziel nun als erstes die Flüchtlingshilfe in Dresden. Während der Fahrt erfahren wir etwas von der Geschichte der Vier: Sie kommen aus dem Gebiet der Stadt Charkiw, ganz im Osten der Ukraine und somit direkt aus einem stark umkämpften Gebiet. Die Mutter erzählt uns, dass die beiden Älteren ihre Töchter seien und die Kleine ihre Enkelin. Mit Tränen in den Augen erzählt sie uns, dass sie auch einen Sohn hat, der die Ukraine nicht verlassen durfte.

Das schwere Los von den Vieren, die Hals über Kopf alles zurück lassen mussten, ist schockierend.

Leider geht es nicht ganz einfach weiter, denn wir erhalten während der Fahrt die Info, dass der Hund nicht in das Flüchtlingscenter darf. Er müsste vorübergehend ins Tierheim. Bis wir das der Familie erklärt haben und sie sich geeinigt haben, dass es vorübergehend okay wäre, kommt auch noch das Telefon, dass Dresden voll ist und keine Flüchtlinge mehr annimmt. Wir sind planlos...

Nun haben wir aber das Glück, dass die Frau von dem Aargauer, der alles organisiert hat, von der Schweiz aus viele Telefonate führt und schliesslich auch Erfolg hat und in Radeburg neben Dresden eine Adresse gefunden hat, wo sicher die eine Mutter mit der einen Tochter Unterkunft bekommt.

Wir fahren also weiter und werden in Radeburg mit einer riesigen Herzlichkeit und Offenheit in Empfang genommen, die uns gut tut. Kaffee steht bereit und zwei Frauen nehmen die Organisation in die Hand und finden über kurze Zeit auch für die Vier mit Hund eine Unterkunft. Wir sind euch, Simone und Astrid, unglaublich dankbar für diesen grossartigen Einsatz! <3

Uns stecken diese Eindrücke der letzten 48 Stunden sehr tief in den Knochen. Den Menschen gegenüberzustehen, die alles zurücklassen mussten, ausser dem, was in ihren Koffer passte... Es ist unglaublich, was Politik auf dem Rücken der Bevölkerung austrägt. Wieviel ist schon für immer zerstört und dies nur 20 Autofahrt-Stunden entfernt... 

Ziemlich genau um 00:30 am Sonntagmorgen sind wir zurück im Aargau. Wir waren nur 48 Stunden unterwegs, aber diese 48 Stunden haben uns zwei Welten gezeigt: Die eine vor dem Nichts, die Menschen ziellos. Die andere läuft nahezu normal weiter. Eine riesige Kluft und doch ist man sich so nah - die Hilfsbereitschaft riesig. Da fragt man sich umso mehr wie Menschen einander so was wie Krieg antun können... 

 

#HelpForUkraine #SupportUkraine #WeStandWithUkraine #StoppRussianAggression #PeaceForUkraine

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